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Mach! Mich! Glücklich! 

 Januar 15, 2014

Von  Dr. Stefan Fraedrich

Liebe Schweinehundefreunde,

vor kurzem diskutierte ich am Rande einer Veranstaltung mit einem Kollegen. Er hatte mir vorgeworfen, mich ihm gegenüber nicht respektvoll zu verhalten. Da ich im allgemeinen dazu neige, eher mit vielen Menschen kurz zu reden als mit wenigen lang (und nur mit sehr wenigen sehr lange), fühlte ich mich zunächst ertappt: Hatte ich mal wieder Signale übersehen? Sorry, ist ein Muster von mir. Der Tag ist kurz und ich habe immer zu tun …

Doch je länger unser Gespräch wurde, desto mehr wunderte ich mich: Nachdem ich bestimmte konkrete Missverständnisse entkräften konnte, bekam ich den Eindruck, mein Kollege wolle mir grundsätzlich ins Gewissen reden. Mein Verhalten im allgemeinen sei anderen gegenüber nicht respektvoll, ich nehme mir kaum Zeit für Menschen, sei im Gespräch nicht wirklich *da*. Dabei stimmt das so überhaupt nicht! Wie gesagt: Wir diskutierten. Mit der Zeit immer konstruktiver. Und am Ende kam es sogar zu einem freundschaftlichen Handschlag.

Seltsames Beziehungsgedöns

Tja, und dann kam seine Partnerin … Mit einem vorwurfsvollen Gesichtsausdruck, der gleichzeitig Verletzung und Missachtung widerspiegelte, flanierte sie an uns vorbei. Sie würdigte uns dabei so offensichtlich keines Blickes, dass mein Kollege binnen einer halben Sekunde in sich zusammensank, sich leise entschuldigte, er müsse sich jetzt sofort um seine Frau kümmern – und bedröppelt von dannen zog. Er lief ihr hinterher, entschuldigte sich wiederholt – und Madame rang sich trotzdem kaum dazu durch, ihn auch nur anzusehen. Autsch.

Und da fragte ich mich: Ging es in unserem Gespräch vielleicht gar nicht um mein Muster, sondern um sein eigenes?

Gehen wir in die Metaebene: Wir waren im Gespräch. Jeder sah, dass wir offensichtlich nicht nur übers Wetter plauderten, sondern über ein Thema, das uns beiden am Herzen lag. Mit Sicherheit sah das auch seine Partnerin. Nur: Sie stellte ihr Bedürfnis, er müsse sich um sie kümmern, so deutlich über seines, mit mir über ein ihm wichtiges Thema zu reden, dass sie es für gerechtfertigt hielt, ihm ein schlechtes Gewissen zu machen. Er wiederum hinterfragte ihre Unhöflichkeit nicht (immerhin beendete sie quasi augenblicklich für uns beide das Gespräch), sondern ging sofort in die Defensive. Dieser Reflex kam so automatisch, dass es sich wahrscheinlich um ein eingeschliffenes Kommunikationsmuster handelt: „Schatz, kümmere dich um mich!“ – „Ja, gleich!“ – „Nein, sofort! Sonst bin ich sauer.“ Wenn ein Paar das eine Weile einübt, entsteht eine fiese Mischung aus vorauseilendem Gehorsam und chronisch schlechtem Gewissen. Immerhin *braucht* der vermeintlich schwächere Partner den stärkeren. Und für Schwache muss man da sein …

Das Muster emotionaler Erpressung

Merken Sie, worum es geht? Klar: um emotionale Erpressung. A sagt zu B: „Mach! Mich! Glücklich!“ Und wenn B das (gerade) nicht will oder kann, signalisiert A: „Aber wenn du mich nicht glücklich machst, geht es mir schlecht – und das kannst du doch nicht wollen, oder?“ A delegiert das eigene Wohl an den anderen und setzt ihn so unter Druck. Denn jeder halbwegs auf Rücksicht sozialisierte Mensch steckt so in der Zwickmühle: „Man soll anderen helfen!“ kämpft mit „Aber ich selbst habe auch Bedürfnisse!“ Und wenn B auf sein Gewissen hört, kümmert er sich um A. Konflikt gelöst – auf eigene Kosten. Dass A dabei unfair handelt und B manipuliert, fällt unter den Tisch. Friede, Freude, Psychokuchen: Irgendeine Lücke im Wohlbefinden muss vom anderen gestopft werden. An sich selbst arbeiten? Unnötig …

Denken wir weiter: Wenn sich dieses Muster eine Weile einschleift, wird es für jeden Beteiligten zur Realität. A fühlt sich in Dauernot, B lebt im Helfermodus. Doch wenn sich ein Partner in einer Beziehung immer zu kurz gekommen fühlt, gibt es keine Chance mehr für echte Zuneigung aus sich selbst heraus. Motto: „Liebst du mich?“ – „Ja.“ – „Sagst du nur, weil ich gefragt habe.“

Nachdem ich irgendwann mal begriffen hatte, wie emotionale Erpressung funktioniert, habe ich alle Erpresser aus meinem Leben geworfen: „Freunde“, „Partner“, „Kollegen“, sogar vereinzelt Familienangehörige. Ich kann nur sagen: Tolles Gefühl! Befreit ungemein. Sobald mir einer sagt „Wenn du XY nicht tust, machst du mir ein schlechtes Gefühl!“, wandert er auf meine innere Resterampe: „Und tschüs!“ Es ist mir wurscht, wer sich wie fühlt, wenn er sein Gefühl von mir abhängig macht.

Aus dieser Warte erscheint mir das Gespräch mit meinem Kollegen natürlich noch schräger. Wenn ich mir vorstelle, dass er inmitten solcher „Kümmere dich um mich!“-Ansprüche lebt, liegt nahe, dass er das Muster für legitim hält und auch auf andere Bereiche überträgt. Zum Beispiel auf meine Kommunikation mit ihm, die er als respektlos empfindet, obwohl ich mir keiner Schuld bewusst bin. Immer noch nicht. Im Kern formuliert er den gleichen Anspruch wie seine Frau: „Wie du dich verhältst, ist nicht okay! Sei so, wie ich es von dir fordere, dann geht es mir gut!“

Schwarze Löcher für Emotionen

Das gleiche Muster begegnet einem auch woanders. Zum Beispiel in Geschäftsbeziehungen. Kennen Sie solche Typen, die ständig das Gefühl haben, andere schuldeten ihnen etwas? Egal ob Kunden, Lieferanten, Kollegen, Banken, Partner, Markt – der „arme“ Leidende fühlt sich von allen geprellt: „Ich habe so viel gegeben und bekomme fast nichts zurück!“, „Mit mir kann man’s ja machen, denken die wohl!“, „Nur ich bin gutmütig, die anderen bescheißen alle!“. Und schon entsteht die innere Rechtfertigung, eine Sonderbehandlung einzufordern: „Los, bevorzuge mich! Jetzt!“, „Mit mir musst du viel besser kommunizieren!“, „Nimm dir Zeit für mich!“, „Ich habe ein Recht auf Extrawünsche!“ Und so weiter. Bis es kracht und der „arme“ Leidende sein Muster bestätigt sieht: „Wusste ich’s doch! Wieder einer gegen mich!“

Ja, ich sehe Sie nicken: Solche Menschen kennen wir alle. Und wir wissen auch alle: Sie sind furchtbar anstrengend. Sie sind wie schwarze Löcher, die uns unsere Gefühle wegsaugen. Begegnen wir ihnen, fühlen wir uns im Soll: Der schwierige Geschäftpartner bekommt von uns mehr Aufmerksamkeit als andere – und trotzdem nie genug. Die perfektionistische Kollegin bekommt von uns positives Feedback – und fühlt sich trotzdem nie genug gewertschätzt. Wir essen auch den dritten Kuchen, den Oma extra für unseren Besuch gebacken hat, obwohl wir längst pappsatt sind – und Oma beklagt sich trotzdem, warum wir sie so selten besuchen. Emotionale Erpresser delegieren die Verantwortung für ihr eigenes (Un)glück an die Außenwelt. Passiv-aggressiver Beziehungshorror. Nicht die Welt ist der Maßstab, sondern das Loch in einem selbst – und das hat Hunger, Hunger, Hunger.

Neurotischer Narzissmus

Willkommen in der Welt der Neurosen! Simpel beschrieben, ist Neurotizismus das Gegenteil von emotionaler Stabilität. Wer in sich ruht, dem ist egal, was in der Außenwelt passiert – es geht ihm gut. Der Neurotiker ruht nie in sich – egal, wie stabil seine Außenwelt ist. Er findet immer das Haar in der Suppe, mit dem er seine emotionale Buckelpiste rechtfertigen kann. Was soll er auch machen? Er leidet eben. Er selbst ist der Meinung, es gebe dafür einen Grund. Die Wahrheit ist aber: Er leidet nur, WEIL er leidet! Er macht sich selbst unglücklich – und erwartet dafür Hilfe von außen, die ihm aber nichts nützt. Also hat sich die Hilfe wohl nicht genug angestrengt …

Woher Neurosen kommen, wird und wurde viel diskutiert. Ein bißchen Genetik, ein wenig Hirnchemie, etwas Prägung durch die Außenwelt. Dazu noch ein paar falsche Gedanken und ein bißchen Stress – und schon heißt es: „Hallo, Drama!“.

Natürlich kann man lernen, seinen Neurotizismus zu zügeln. Etwa durch kritische Reflektionen: „Wie schlimm ist es auf einer Skala von null bis zehn wirklich, dass dein Kollege wenig mit dir gesprochen hat?“ – „Mindestens eine acht!“ – „Und wie schlimm wäre im Vergleich ein Unfall mit Totalschaden?“ – „Viel schlimmer!“ – „Ist der Kollege also wirklich eine acht?“ – „Nein, eher weniger …“

Oder man kann lernen, seine Ansprüche zu zügeln. Zum Beispiel haben Neurotiker oft den Anspruch, von allen gemocht zu werden. Oder immer alles richtig zu machen. Oder das Recht zu haben, das Leben möglichst ohne Anstrengung zu bewältigen. Natürlich alles unsinnige Ansprüche, die sich relativieren lassen – wenn man ihre Absurdität erkennt.

Viele Neurotiker leiden auch unter einer Art Anerkennungssucht: Ständig muss ihnen ihre Sonderstellung bestätigt werden, damit sie sich okay fühlen. Bitte verstehen Sie mich richtig: Ab und zu Bestätigung und eine gewisse Eitelkeit sind normal und gesund. Aber es kommt eben auf die Dosis an, die wir davon brauchen. Und hinter ständiger Anerkennungssucht steckt meist eine fette Portion Narzissmus. Die beste Definition von Narzissmus habe ich übrigens einmal in einem Interview mit Wolfgang Joop gelesen: „Der Selbstbewusste fühlt sich überlegen, der Unsichere wie ein Wurm. Der Narzisst fühlt sich wie ein überlegener Wurm.“ Sie sehen: Da ist es wieder, das unersättliche Loch, das sich das Recht herausnimmt, von anderen zu fordern! Und es hat Hunger, Hunger, Hunger …

„Nur ich bin wichtig“? Falsch!

Leider hat der Neurotiker und insbesondere der emotionale Erpresser einen systematischen Denkfehler: Er betrachtet seine eigenen Bedürfnisse – und übersieht, dass JEDER Mensch EIGENE Bedürnisse hat! Ja, schlimmer noch: Er versteht nicht, dass JEDER Mensch SELBST im Zentrum seines EIGENEN Universums steht. Und das völlig zurecht: Denn wer außer uns selbst kann schon wirklich dafür sorgen, dass es uns gut geht? Wer außer uns selbst, kennt wirklich genau unsere Agenda, Probleme, Bedürfnisse? Niemand! Weil das gar nicht geht!

Denn: Jeder Mensch ist jede Sekunde seines Lebens zum Großteil mit sich selbst beschäftigt und hat daher die Aufgabe (und im Idealfall die Fähigkeit), seine EIGENEN Stimmungen zu managen! Das kann man nicht auf andere delegieren. Selbst Altruisten sind rein „technisch“ betrachtet ständig bei sich: Die Frage „Wen kann ich wie unterstützen?“ entspricht im Kern der Agenda eines Baggerfahrers („Wo muss ich graben?“) oder einer Politesse („Wer parkt falsch?“). Es geht immer um die Frage: „Was sollte ich jetzt tun?“ Es geht um das Steuern unseres eigenen Lebens.

Ja, ich weiß: Altruismus tut gut, weil er von eigenen Problemen ablenkt und den anderen in den Mittelpunkt stellt. Doch streng genommen, tut jede Aufgabe gut, der wir uns leidenschaftlich widmen. Und Altruismus wird schnell zum Helfersyndrom: „Die Welt braucht mich, also sind meine Bedürfnisse jetzt unwichtig.“ Und nach einer Weile: „Warum geht es mir immer schlechter? Ich brauche Hilfe!“ Und schließlich heißt es: „Warum hilft mir niemand? Ich bin doch bedürftig! Die Welt ist ungerecht.“ Bemerken Sie das Abkippen in den Neurotizismus? Hilft sich ein Helfer nicht zuerst selbst, hilft er bald niemandem mehr …

Insofern sollten wir uns von Zeit zu Zeit bewusst machen: Eine gesunde Psyche hat dauernde Streicheleinheiten von anderen nicht nötig. Sie sorgt selbst dafür, dass es ihr gut geht. Denn sie weiß am besten, was sie braucht und woher sie es bekommt.

Natürlich: (Kleine) Kinder müssen emotional gestützt werden, solange sie ihre Emotionen noch nicht steuern und Bedürfnisse befriedigen können. Wirklich Bedürftige brauchen Hilfe und Unterstützung, denn jeder Mensch kann auf der Schnauze landen und es ist gut und wichtig, dass wir uns gegenseitig auf die Beine helfen.

Aber: Neurotiker und emotionale Erpresser brauchen keine Hilfe. Sie brauchen das Feedback, dass es – VERDAMMT NOCHMAL! – ihre EIGENE Aufgabe ist, die Wurzel ihrer Bedürftigkeit zu beseitigen.

Damit man ihnen dann, wenn wirklich mal Not am Mann ist, auch gerne hilft.

Ihr

Stefan Frädrich

 

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