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Diktatur des Denkens 

 Oktober 25, 2015

Von  Dr. Stefan Fraedrich

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Liebe Schweinehundefreunde,

wir denken ja gerne, wir seien denkende Wesen. Doch seien wir ehrlich: Ist es nicht oft andersherum? Nämlich, dass es uns denkt. Dass sich das Geplapper im Kopf verselbständigt und uns ärgert: „Vorsicht, Anstrengung!“, „Das Problem dabei ist …“ oder „Das schaffst du nicht!“ Günter, der innere Schweinehund. Sie wissen ja.

Doch Gedanken machen Gefühle. Nicht die Welt bestimmt, wie es uns geht, sondern was wir über die Welt denken, wie wir sie subjektiv beurteilen. Denn jedes Wort ruft Gefühle und Assoziationen hervor. Wenn wir nicht aufpassen, negative. Wer sich Anstrengung, Probleme oder Hilflosigkeit einredet, raubt sich Energie. Dabei können wir „Anstrengung“ als „Training“ bezeichnen. Oder ein „Problem“ als „Herausforderung“. Und uns selbst erzählen, was wir schon alles geschafft haben, statt uns künstlich klein zu halten. Dafür müssten wir unsere Gedanken distanziert beobachten, sie bewusst hinterfragen und oft umdenken, statt ihnen blind zu gehorchen. Ja, müssten. Doch warum ist das so schwer?

Vom (Un-)Sinn des Denkens

Steigen wir eine Ebene tiefer ein: Im Prinzip ist unser Denken (Günter) ein Werkzeug zur Selbststeuerung. Ständig checken wir die Welt und treiben uns an: „Was musst du heute noch schaffen?“, „Was kann schiefgehen?“, „Was war gestern?“ und „Was soll morgen sein?“ So sind wir stets mit planen beschäftigt, mit berechnen, beurteilen, erinnern, bedauern oder grübeln. Leider vernachlässigen wir dabei den Moment, das Hier und Jetzt. Schade.

Ja, einerseits ist unser Denkvermögen von Vorteil: Könnten wir nicht so viele Eventualitäten berechnen und absichtsvoll handeln, wäre die Menschheit evolutionär weniger erfolgreich. Man muss sich vorstellen können, dass ein Säbelzahntiger aus dem Gebüsch springt. Erst dann will man sich davor schützen – mit Waffen, stabilen Behausungen oder intelligenten Fallen. Unser Denken hält uns am Leben, weil es uns antreibt, das Richtige zu tun.

Andererseits fallen uns für komplexe Probleme oft erst dann Lösungen ein, wenn wir uns gar nicht mit ihnen beschäftigen: Der Aha-Moment in der Badewanne. Der Geistesblitz beim Autofahren. Die Idee kurz vorm Einschlafen. Solche indirekten Denkleistungen kommen nicht dadurch zustande, dass wir scharf nachdenken, sondern indem wir Unschärfe zulassen: durch das kognitive Abwenden vom eigentlichen Problem. Also indem wir eben nicht denken, sondern vertrauensvoll auf Autopilot schalten: Indem wir unser Hirn die Lösung finden lassen, ohne bewusst dabei zu sein. „Einfach mal drüber schlafen!“ ist mitunter die beste Art, nachzudenken. Leider wehrt sich unser bewusstes Denken dagegen: Es will die Kontrolle behalten und bremst uns dadurch aus.

Eine weitere Kehrseite des Denkens ist, dass wir manchmal gedanklich hohldrehen: Wir suchen den Säbelzahntiger im Gebüsch auch dann noch, wenn wir eigentlich wissen, dass keiner da ist. Wir konstruieren Probleme, weil wir glauben, diese gäben uns die Sicherheit, nicht gefressen zu werden: überlange Aufgabenlisten, finanzielle Sorgen oder kauzige Kollegen – überall gibt es Gründe, planungsvoll zu grübeln. Und das rationalisieren wir dann mit dem Totschlagargument des Steinzeithirns: „Gefahr ist immer. Vorsicht!“

Das „Problem“ ist das Problem

Das Problem dabei ist: Das eigentliche Problem gibt es (noch) gar nicht! Denn wer heute versucht, Probleme von morgen (oder schlimmer noch: gestern) zu lösen, muss zwangsläufig scheitern – solche Probleme sind ja rein fiktiv. So wird die Sorge zur Diktatur des Denkens und unser Hirn zum Durchlauferhitzer: Es wird uns heiß zwischen den Ohren statt warm ums Herz, wie es eigentlich sein könnte. Die meisten Sorgen sind überflüssig: Heute ist der Tag, um den wir uns gestern gesorgt haben! Ganz okay geworden, oder? Ja, schon. Eigentlich …

Technisch betrachtet, springt unser Denken dabei ständig zwischen Vergangenheit und Zukunft hin und her: Was war gestern? Was soll morgen sein? Also tun wir jetzt, wovon wir glauben, dass wir es morgen brauchen. Und unser Dasein bewegt sich hektisch auf einer Zeitachse von Soll-Ist-Abgleichen. Ständig bewerten wir: Was stimmt schon? Was noch nicht? Wir sind Wesen auf dem Sprung.

Doch die Zukunft ist immer erst morgen. Also sind wir heute unzufrieden: Wir können noch nicht haben, was wir uns für morgen wünschen – trotz allen Strebens. Die Zukunft erscheint ungewiss, noch nicht richtig, irgendwie gefährlich. Also gibt es immer etwas zu motzen! Selbst wenn im Moment alles in Ordnung ist. Also jetzt. Ja, auch jetzt. Und wieder jetzt. Wir leben mitten in einem systematischen Denkfehler.

Bewusstes Wahrnehmen

Versuchen Sie mal, eine Weile bewusst nicht auf Ihre Gedanken zu achten, sondern nur auf Ihre momentanen Empfindungen. (Dazu unterbrechen Sie natürlich das Lesen dieses Textes.)

  • Was sehen Sie jetzt gerade?
  • Was spüren Sie?
  • Was hören Sie?
  • Was riechen Sie?
  • Was schmecken Sie?
  • Wie geht Ihr Atem?
  • Betrachten Sie genau Ihre Hände.
  • Lauschen Sie den Umgebungsgeräuschen.
  • Zählen Sie die Fenster des Nachbarhauses.
  • Schieben Sie sich ein Toffifee in den Mund. (Oder stellen Sie es sich genau vor.)
  • Schmecken Sie Schokohäubchen und Karamellfüllung.
  • Spüren Sie, wie die Nuss knackt.
  • Nehmen Sie bewusst wahr: Alles ist in Ordnung! Sie leben! Jetzt!

Na? Wie geht es Ihnen dabei? Vermutlich prima. Doch sobald wir die Gedankenmaschine wieder anschmeißen, ist alles Wohlgefühl wieder weg. Stattdessen kommt das innere Geplapper zurück: unsere Urteile, Sorgen, Bedingungen, Deadlines und Zweifel. Wir wollen wieder kontrollieren, was geschieht. Die Sorgenspirale startet neu. Faszinierend, oder?

Nicht die Zukunft zählt, sondern der Moment

Die Zukunft gestalten zu wollen, versaut uns also die Gegenwart. Und damit auch die Zukunft. Und dann wieder die Vergangenheit. Weil wir so eine lange Kette bedeutungsloser Momente aneinanderreihen. Wir sind immer irgendwo, aber niemals wo wir wirklich sind: Hier. Jetzt. Da.

Wir fluchen über To-Do-Listen, hetzen von Termin zu Termin und fühlen uns bedrückt: Es muss noch so viel getan werden! Warum? Eben WEIL wir den Blick auf all das richten, was noch getan werden muss. Auf das, was werden soll, nicht auf das was ist. Weil wir glauben: Erst wenn wir etwas geschafft haben, könnten wir genießen. Obwohl wir genau dadurch verhindern, jemals wirklich etwas zu schaffen. Denn so werden wir mit dem Schaffen niemals fertig.

Doch auch wer im Moment lebt, gestaltet seine Zukunft. Dabei wird seine Energie nicht durch Denken gestört. Die Energie des Jetzt wird zum Leben selbst: Sein können, statt werden zu müssen. Tun, was zu tun ist, wann es zu tun ist. Ergebnisse entstehen so wie nebenbei: Die To-Do-Listen werden kleiner und die Termine machen Spaß, denn sie sind keine Aufgaben mehr, sondern Momente. Und Momente fühlen sich leicht an, weil sie nie auf einmal kommen, sondern hintereinander. Es gibt immer nur den jetzigen Augenblick. Zeit ist eine Illusion.

  • Lernen wir also, im Moment zu leben! So beenden wir die Diktatur des Denkens – und alle Sorgen, Ängste, Pläne, Absichten verschwinden augenblicklich. Sie lösen sich auf. Einfach so. Wie die Zeit beim Spielen als wir noch Kinder waren. Denn es ist unmöglich, sich einer Sache ganz hinzugeben – und sich gleichzeitig Sorgen zu machen.
  • Üben wir, gezielt in den gedanklichen Leerlauf zu schalten!Steigen wir immer wieder aus unserem Zeitstrahl aus: zum Beispiel indem wir bewusst Musik hören, schmecken, riechen, laufen, tanzen, atmen, dösen – und Gedanken einfach nur Gedanken sein lassen.
  • Lassen wir los! Es geschieht, was geschieht. Wir müssen nicht immer alles kontrollieren und beeinflussen. Und wir müssen unseren Gedanken und Urteilen nicht immer alles glauben. Ja, wir dürfen sie auf keinen Fall zu ernst nehmen, denn sie sind nur ein kleiner Teil unseres Bewusstseins.
  • Beobachten wir uns selbst beim Denken! Welche Wünsche, Erinnerungen, Sätze, Sorgen kommen immer wieder? Nehmen wir sie nur wahr, ohne sie zu bewerten: „Interessant, ich mache mir also Sorgen.“ Oder: „Interessant, jetzt denke ich mal wieder an früher.“ Oder: „Aha, ich treibe mich innerlich an.“ Oder: „Ach, ich urteile also schon wieder.“
  • Lassen wir unsere Gedanken kommen und gehen! Sie sind nur Gedanken, keine Realität. Sie haben keine wirkliche Macht. Sie sind wie kleine Kinder: spontan, sich ihrer selbst nicht bewusst, verspielt. Wir können liebevoll über sie schmunzeln. Sie zulassen und vorbeiziehen lassen. Sie hin- und herwandern lassen. Wie bunte Fische in einem Aquarium schwimmen sie umher. Wir können ihnen dabei zuzusehen. Wie schön!
  • Achten wir immer wieder auf die Schönheit des Moments! In all seinem Reichtum, seiner Perfektion, seiner Tiefe. Je mehr wir das tun, desto weniger müssen wir uns ablenken, belohnen, unterhalten. Wir werden unabhängig von den Süchten der Welt und öffnen uns dem wahren Glück.

Es ist also eine bewusste Entscheidung, uns nicht mehr zu ärgern, uns keine Sorgen mehr zu machen, nicht mehr zu leiden. Sich nicht mehr reflexhaft von den eigenen Gedanken vor sich hertreiben zu lassen. Selbst zu bestimmen, was wir empfinden oder tun wollen – und was nicht. In der eigenen Mitte zu bleiben. Denn welchen Gedanken wir wirklich eine Bedeutung geben, bestimmen nur wir selbst.

Wir können die Diktatur beenden. Ein tröstlicher Gedanke.

Herzliche Schweinehundegrüße

Ihr

Stefan Frädrich
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