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Es lebe der Zufall! 

 Februar 3, 2015

Von  Dr. Stefan Fraedrich

Liebe Schweinehundefreunde,

vor einiger Zeit habe ich mich bei einem Seminar als Skeptiker geoutet: Der Seminarleiter (der ich nicht selbst war) fragte die Gruppe, wer an den Zufall glaube. Natürlich habe ich mich gemeldet. Interessanterweise als einziger. 

Ein seltsames Seminar

Im Verlauf der nun entstehenden Diskussion stellte sich heraus, dass ich in einer quasi gehirngewaschenen Jünger-Truppe gelandet war, die das selbe Seminar großteils bereits mehrfach besucht und verinnerlicht hatte. Okay. Die Argumentation war im Wesentlichen, dass alles im Leben auf Ursache-Wirkungs-Mustern beruhe und der so genannte „Zufall“ nur eine Interpretation des individuellen Geistes sei. Kernbotschaft: Wer nicht versteht, dass er spirituell achtsam leben muss, wird für ihn ungute Zufälle erleben. Wer hingegen wach ist für spirituelle Signale, dem geschieht nur, was ihm geschehen soll.

Hm. So sehr ich an ein gesundes Maß Achtsamkeit glaube und mit der Funktion von simplen Reiz-Reaktions-Mustern vertraut bin, so schwer fällt es mir, die religionsgleiche Eindeutigkeit nachzuvollziehen, mit der manch schlichte Gemüter gültige Regeln für das Leben postulieren! So im Stile von:

1.) Wer vor dem Frühstück eine Stunde läuft, fühlt sich den ganzen Tag über fit.

2.) Wer keinen Erfolg hat, muss sich nur noch mehr anstrengen.

3.) Wer ein erfülltes Leben führen will, muss sich zuerst selbst finden.

Schwachsinn! Genau so gilt für viele Menschen das Gegenteil:

1.) Wer vor dem Frühstück läuft, fühlt sich den ganzen Tag über schlapp.

2.) Wer keinen Erfolg hat, sollte sich schleunigst eine andere Beschäftigung suchen.

3.) Wer sich ständig selbst sucht, sollte sich stattdessen lieber selbst erschaffen.

Jetzt fangen Sie mal mit den Anhängern der jeweiligen Thesen eine Diskussion an …

Beim Thema Zufall ist meines Erachtens ein gewisser Pragmatismus angebracht: Sehr viele Reiz-Reaktions-Muster unserer Welt sind extrem komplex und für uns kaum verstehbar, geschweige denn steuerbar. Also warum versuchen, den Zufall zu beherrschen?

Die Fliege am Bahnhof

Stellen Sie sich eine Fliege am Kölner Hauptbahnhof vor. Weil sie sich für das Brötchen eines Reisenden interessiert, folgt Sie ihm in einen Zug. Ist das Zufall? Nein, Sie will essen. Reiz und Reaktion. Versteht sie, dass sie in einen Zug fliegt, der sie in eine andere Stadt bringt? Nein, wohl nicht. Und kann sie, wenn sie im fahrenden Zug ist, beeinflussen, in welche Stadt der Zug fährt? Rhetorische Frage … Man könnte also mit einer gewissen Berechtigung behaupten, es sei für die Fliege kompletter Zufall, plötzlich in Hamburg aus dem Zug zu fliegen. Und – leckere Überraschung! – hier gibt es Fischbrötchen!

Für die Fliege hat weder die Funktion des Zuges eine Bedeutung, noch die Richtung, in die er fährt. Sie kann beides weder erfassen noch beeinflussen. Selbst wenn die Fliege in einem Seminar erfährt, dass Sie ihr Leben durch ihre Flugrichtung selbst bestimmt. Ihr ist immer noch nicht geholfen. Denn ihr fehlt das Verständnis für Zusammenhänge außerhalb ihrer Wahrnehmung. Somit kann die Fliege zwar meist steuern, wohin sie unmittelbar fliegt. Aber sie kann eben nicht immer steuern, wo sie landet. Sie ist letztlich doch dem Zufall ausgeliefert. Ich denke, man sollte der Fliege ein grübelfreies Leben ohne Esoterik-Seminare wünschen.

Apropos: Als man dann im späteren Verlauf meines Seminars während einer Entspannungsübung mental in frühere Leben reisen sollte, bin ich frühzeitig gegangen. Ebenfalls als einziger …

Krebs ist Zufall

Erst gestern habe ich über eine interessante Studie der Johns Hopkins Universität gelesen, laut der man die Entstehung von Krebs zu etwa zwei Dritteln auf den – igitt! – Zufall zurückführen kann. Zwei Drittel! Die Erklärung klingt einleuchtend: Die Wahrscheinlichkeit, dass Zellen bei ihrer Teilung entarten, steigt einfach, je älter wir werden. Zitat aus dem Artikel: „Unabhängig vom Zustand der Straßen und des Autos steigt die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls mit der zurückgelegten Strecke.“ Zwar gibt es (zu einem Drittel) bekannte Risikofaktoren, die man aktiv vermeiden kann, aber es gibt niemals die Garantie, keinen Krebs zu kriegen.

Moment! Aber bedeutet das nicht, dass man die verbliebenen zwei Drittel nur noch nicht kennt und sie deshalb weiter erforschen muss? Unbedingt! Nur: Es bedeutet eben auch, dass wir uns, über das bekannte Drittel hinaus keinen Kopf machen sollten, was wir alles beeinflussen können: Wir wissen es einfach noch nicht! Und können demnach richtig oder falsch handeln. Es ist also total egal, was wir tun!

Nur eines ist offensichtlich: Es ist sinnvoller, sich auf das bekannte Drittel zu konzentrieren und definitiv krebserregende Faktoren zu umgehen, anstatt Fokus und Energie auf oft wirre Vermutungen zu richten. Wer etwa als Raucher Vitaminpräparate nimmt, um Lungenkrebs vorzubeugen, kann sich genau so beim Schwimmen eine Jeans anziehen, um nicht nass zu werden …

Nun, Sie merken: Ich glaube immer noch an den „Zufall“. Wenngleich mir klar ist, dass er letztlich ein Konstrukt darstellt. Er beschreibt das Ergebnis von komplexen Prozessen, die uns meist nicht bewusst sind und die wir kaum steuern können. Deshalb ist es oft einfach nicht klug, Zufälle verstehen und beeinflussen zu wollen.

Doch drehen wir es mal um: Welchen praktischen Nutzen hat der Zufall?

1.) Zufälle können etwas sehr Positives sein. Wenn uns schon „zufällig“ Kunden weglaufen, Beziehungen in die Brüche gehen oder fiese Krankheiten erwischen können, kann auch das Gegenteil passieren: Es können uns neue A-Kunden zulaufen und wunderbare Partnerschaften entstehen. Und vielleicht hat uns das Leben mit einer Bomben-Konstitution ausgestattet! Das Leben steckt voller positiver Überraschungen! Die weitere Geschichte wird zeigen, in welchem Zug wir sitzen.

2.) Zufälle lassen sich nicht vermeiden, aber es lassen sich Wahrscheinlichkeiten beeinflussen: Wer gesund lebt, wird seltener krank. Wer unter Menschen geht, findet leichter solche, die zu ihm passen. Wer wagt, kann auch gewinnen. Also sollten wir uns stets auf unseren eigenen Einflussbereich konzentrieren, statt blind im Nebel wirrer Deutungen herumzustochern.

3.) Zufälle können tröstlich sein. Viele leiden unter Selbstvorwürfen, weil sie – nicht an Zufälle glaubend – linear in kausalen Reiz-Reaktions-Schemata denken: „Ach, hätten ich dieses anders gemacht, wäre jenes nicht passiert!“ So leiden sie oft unnötig und quälen sich nur selbst: Wer weiß denn schon, was passiert wäre? Vielleicht wäre überhaupt nichts zu beeinflussen gewesen? Ja, manchmal haben wir einfach nur Pech. Obwohl wir alle täglich so handeln, wie wir es gerade für richtig halten. Besser geht es halt im Moment nicht. Niemals. Ende Gelände. Und wenn etwas schief läuft? Nun, Shit happens. Manchmal fahren Fliegen auch nach Düsseldorf.

Also Schluß jetzt mit dem vagen Gewimmer! Konzentrieren wir uns auf unseren Einflussbereich! Freuen wir uns auf all das Schöne, was uns passieren kann! Und wenn es uns trotzdem übel erwischt, sind wir meistens nicht einmal schuld!

Ich finde: Es könnte schlechter sein.

Haben Sie einen schönen Februar!

Ihr

Stefan Frädrich

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