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Was Verkehrsstaus über uns verraten 

 Juni 14, 2013

Von  Dr. Stefan Fraedrich

Liebe Schweinehundefreunde,

stellen Sie sich vor, Sie stünden im Stau. Auf der Autobahn. Einige Kilometer liegen noch vor Ihnen, das wissen Sie aus den Verkehrsnachrichten. Unendlich langsam geht es ab und zu weiter, dann wieder minutenlang Stillstand. Schließlich nähern Sie sich einer Ausfahrt. Sollen Sie da runter und den Stau umfahren? Wobei: Auch die Ausfahrt scheint verstopft. Der Rückstau reicht bis weit in den Standstreifen hinein …

Was tun: abfahren oder bleiben?

Na, was tun Sie? Fahren Sie ab oder bleiben Sie auf der Autobahn? Ich bin der festen Überzeugung, dass diese Entscheidung einiges über uns aussagt. Gehen wir die Optionen durch.

Was spricht dafür, auf der Autobahn zu bleiben? Einiges: Sie kennen die Strecke und können sich nicht verfahren. Einfach Hirn ausschalten und dem Strom folgen. Geringer Aufwand, relative Sicherheit der Gruppe. Denn: Was fast alle machen, kann so falsch nicht sein. Außerdem sind Sie auf der Autobahn definitiv schneller, sobald sich der Stau einmal auflöst. Ruckzuck sind Sie dann am Ziel. Mitunter sind Sie sogar schneller, obwohl sich der Stau nicht auflöst, denn wer weiß, wie lange die Umfahrung dauert? Also Motto: Nicht aufregen, Augen zu und durch.

Was spricht dagegen, auf der Autobahn zu bleiben? Auch einiges: Zum Beispiel, dass es gerade nicht vorangeht und Sie nichts dagegen tun können. Sie sind ein Teil des Schwarms, der feststeckt. Sie müssen passiv bleiben, abhängig vom allgemeinen Verkehr. Ihr Handlungsspielraum hat sich maximal verringert, Sie sind hilflos. Möglicherweise verlieren Sie wertvolle Zeit, Sie langweilen oder ärgern sich. Im Minutentakt halten Sie nach neuen Infos Ausschau: Was sagt das Navi? Was das Radio? Wie reagieren die Menschen um Sie herum? Hat jemand neue Informationen? Sie erleben Stress.

Was spricht dafür, abzufahren? Auch eine Menge: Wahrscheinlich löst sich der Abfahrtsstau auf, sobald Sie mal von der Autobahn runter und auf der Landstraße sind. Dann geht es voran, wenngleich etwas kurviger. Möglicherweise kommen Sie schneller ans Ziel, obwohl Sie nun streckenmäßig einen Umweg fahren. Sie erleben, dass Sie Ihre Situation wieder beeinflussen können. Sie probieren etwas Neues, machen Erfahrungen, lernen Ort- und Landschaften kennen, an denen Sie noch nie zuvor waren. Ein gerader Weg führt immer nur ans Ziel, Umwege erhöhen die Ortskenntnis.

Und was spricht dagegen, abzufahren? Ebenfalls einiges. Zunächst mal die Unsicherheit: Sie haben keine Ahnung, was Sie da draußen erwartet. Der nächste Monsterstau? Kilometerlange Schlangen durch unbekannte Ortschaften oder gar Feldwege? Unkalkulierbare Umwege. Das Risiko, sich zu verfahren und noch viel später anzukommen. Stress durch noch mehr Unabwägbarkeiten. Und, und, und.

Warum abzufahren besser ist

Na? Haben Sie sich entschieden, wie Sie handeln würden? Ich verrate Ihnen, was ich tue: Ich fahre IMMER ab und suche mir meinen eigenen Weg – und habe damit in den letzten Jahren wunderschöne Strecken, Orte, Restaurants, Landschaften kennengelernt und ganz nebenbei etliche Staus umfahren. Ich habe jedesmal meine Orientierung in „fremden“ Gegenden trainiert (wobei, seien wir ehrlich: Wo bitteschön laufen wir bei uns in Mitteleuropa wirklich Gefahr, verlorenzugehen?), betrachte Staus zum Teil als willkommene Abwechslungen meiner Streckenplanung, weshalb ich beim Reisen mit dem Auto immer eine Menge Pufferzeit einbaue und relativ entspannt bleibe. Sogar wenn ich in einen Stau hineinsteuere: Ich weiß ja, dass ich ihn bald wieder verlassen kann …

Ergo: Ich bin der festen Überzeugung, dass es schlauer ist, abzufahren. Denn den negativsten Ausgang, den Nullzustand haben wir ja bereits erreicht, wenn wir im Stau stehen: Es geht nicht voran, wir können nichts tun. ALLES andere ist besser. Zumal abzufahren keinerlei Risiko bedeutet. Was kann schon passieren?

Hihi, ich weiß schon: Jetzt werden einige motzen („Das ist total falsch! Es ist besser, auf der Autobahn zu bleiben!“) denn ich kitzle natürlich Widerspruch heraus. Habe ich nicht selbst gesagt, was für den Verbleib auf der Autobahn und gegen das Abfahren spricht?

Drei Fragen für bessere Entscheidungen – bzw. nur eine einzige

Nun, ich stelle mir bei kniffligen Situationen drei Fragen, die für mich wie ein innerer Kompass wirken:

  1. „Was würdest du tun, wenn du wüsstest, dass es dir gelingt?“
  2. „Was würdest du tun, wenn du keine Angst hättest?“
  3. „Und was würdest du tun, wenn es dir leicht fiele?“

 

Übertragen auf das Stau-Abfahrtsproblem können wir die drei Fragen sogar nur zu einer einzigen umformulieren:

„Würdest du von der Autobahn abfahren, wenn du dich in der Gegend hervorragend auskennst?“

Im Ernst: Stellen Sie sich mal vor, Sie kennen jede noch so kleine Straße, jedes Haus, jeden Acker, jede Ampel. Was würden Sie nun tun?

Ich wette, Sie würden abfahren, denn Sie hätten nun die Sicherheit, sich flexibel durchwurschteln zu können – egal auf welche Verkehrsverhältnisse Sie außerhalb der Autobahn treffen. Sie könnten auf eine Menge Informationen zugreifen, die Ihnen die Situation nun vertraut und sicher erscheinen ließen. Sie wüssten nun: Wenn es hier nicht weitergeht, dann eben dort. Sie werden Ihren Weg suchen und finden.

Im Stau bleiben – ein Zeichen von Unsicherheit?

Sie merken, worauf ich hinaus will: Bewusst im Stau zu bleiben statt abzufahren, ist im Kern ein Zeichen von Unsicherheit – egal, wie sehr wir das scheinbar logisch vor uns rechtfertigen. Was wir eigentlich brauchen, sind letztlich nur Informationen: Wie sieht es außerhalb unseres gewohnten Settings aus? Und wenn wir keine Infos haben, brauchen wir die Selbstsicherheit und den Optimismus, Erfahrungen machen zu wollen, in deren Verlauf wir die fehlenden Infos eben erst mal sammeln. Wie heißt es so schön? Dem Gehenden schiebt sich der Weg unter die Füße.

Und schon sind wir beim großen Bild: Wie oft im Leben verharren wir, obwohl wir uns verändern sollten? Es ist halt so schön kuschelig in unserem Stillstand … Wie oft im Leben trauen wir uns nichts zu, weil wir uns schon beim letzten Mal nichts zugetraut haben? Mut muss man schließlich erst lernen … Wie oft im Leben beklagen wir lieber die Umstände und machen einen auf Opfer, statt aus unserem Muster auszubrechen und uns auf unseren Einflussbereich zu konzentieren? Es ist so schön einfach, mit dem Finger auf die böse Welt zu zeigen …

Na, zweifeln Sie immer noch? Verweisen Sie empört auf Umgehungsstaus, auf Blechlawinen neben Kuhweiden? Hey, ich habe nichts davon gesagt, dass Sie da hineinfahren sollen! Denn: Sobald Sie von der eingefahrenen Spur abweichen, können Sie Ihre Fahrtrichtung wieder selbst entscheiden! Und das bedeutet: Natürlich sollten Sie auch den Umgehungsstau umfahren! Oft müssen wir dazu unsere gedachten Optionen nur ein klein wenig erweitern: Wenn alle auf der Landstraße der offiziellen Umleitungsroute folgen, suchen wir uns eben unsere eigene Route! Und die kann durch Wohngebiete gehen, durch Waldwege, über Parkplätze, durch Innenstädte …

Informationen suchen

Die dafür notwendigen Informationen stehen uns heute übrigens jederzeit zur Verfügung: Dank Echtzeit-Infos auf unseren Smartphones etwa. Wissen Sie schon, dass die Kartenfunktion beim iPhone Staus anzeigt? Oder bei Google maps? Die Technik dahinter ist vom Prinzip her simpel: In fast jedem Auto ist ja ein Handy, welches Signale sendet, wo es sich befindet. Und wenn sich entlang einer Straße viele Handys nicht weiterbewegen, lässt sich daraus schließen, dass da ein Stau sein muss – den wir wiederum live per Handy angezeigt bekommen. (Ist jemand allen Ernstes überrascht, dass unsere Handys Informationen preisgeben, die geheimdienstlich ausgewertet werden?) So lässt sich auch der Umgehungsstau voraussehen – und umfahren. Es lebe die Eigenverantwortung! (Muss ich noch extra betonen, dass uns heute auch in etlichen anderen Lebensbereichen jede Menge Informationen zur Verfügung stehen, die wir jederzeit abrufen können?)

Also heben wir das Setting mal auf die nächsthöhere Ebene. Bei „verfahrenen“ Situationen/“Staus“ im Leben gilt:

  1. Analysiere die Situation: Steckst du fest? Sei ehrlich!
  2. Such nach Alternativen: Was kannst du tun? Welche Optionen hast du noch?
  3. Sammle Informationen über die Alternativen! Welche Infos fehlen dir? Woher bekommst du sie?
  4. Falls du keine Informationen hast oder bekommst, vertraue darauf, dass du sie unterwegs findest!
  5. Entscheide dich für eine Alternative und handle! Sofort!

 

Vorsicht übrigens, wenn Ihnen die Message immer noch nicht gefällt: Dann stellt sich nämlich die Frage, wie groß und wichtig Ihnen selbst kleinste Unsicherheiten erscheinen. Hey, wir reden hier von einer blöden Autobahnumfahrung! Wer schon hieran scheitert oder sich unsicher fühlt, hat mit Sicherheit nicht nur im Stau ein Problem …

Herzliche Schweinehundegrüße

Ihr

Dr. Stefan Frädrich

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  • Na, da hat aber jemand ganz viele negative Erfahrungen mit „unbeweglichen“ Zeitgenossen gemacht bei soviel Winke-Winke mit dem Scheunentor im Text… Da muss man sich ja (fast) schon auf den nächsten Stau freuen!!

  • Fünfte und relevanteste Erkenntnis: Nachdem wir knapp 85 Minuten lang ereignislos das Stück ums Schwedenkreuz gefahren waren (dutzende Male), waren wir kurz vor der Mittagspause nochmal aufgebrochen und es fühlte sich alles so an wie die letzten Dutzend male auch. Vielleicht 2-3km/h schneller, vielleicht die Linie um einen 30-40cm Meter verfehlt und ein wenig spitzer angefahren, vlt. ein wenig zu wenig oder zu viel eingelenkt – jedenfalls drehte sich plötzlich der Wagen in der Nähe des Scheitelpunkts der Kurve plötzlich ein, und obwohl das ESP in früheren, vergleichbaren Situationen das Fahrzeug noch abfangen konnte, tat es das diesmal nicht. Der Fahrer (ich saß auf dem Beifahrersitz) lenkte zwar gegen, das führte in der Siutation aber nur noch zum kompletten Haftungsabriss. Wir kamen von der Strecke ab. Und bevor jetzt jemand sagt man fährt im Strassenverkehr ja nicht so wie auf der Rennstrecke – wir sind nicht Risiko gefahren, wir haben uns nicht auf ESP verlassen oder sonstiges, dafür ist der Überlebensinstinkt viel zu stark (wie gesagt sehr wenig Auslaufzonen) der Fahrer war der festen Überzeugung dass da noch genug Sicherheitsreserven sind, zügig, aber zu jedem Zeitpunkt sicher und unter Kontrolle war die Devise – und das Tempo allein war vermutlich auch nicht das ausschlaggebende da die Vorausfahrenden ohne jede Probleme mit vergleichbarem Tempo um die Kurve gekommen sind. Was also war die fünfte Erkenntnis? Man hat die Situation nie so gut unter Kontrolle wie man es selber glauben möchte. Shit happens. Denn der Kontext war nun wirklich so ideal, dass dort so etwas nicht hätte passieren sollen.

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